Österreichs Politiker und Presse negierten Else Lasker-Schüler-Forum Wien

Schlechte Nazis – gute Antisemiten?

Von Peter Kleinert

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„Die Österreicher waren schlechte Nationalsozialisten, aber gute Antisemiten. Die Deutschen waren schlechte Antisemiten, aber gute Nazis. Wenn dann noch Piefkes ein Kultursymposium zur gemeinsamen hässlichen Vergangenheit in unserer Hauptstadt veranstalten, brauchen sie sich über ein Totschweigen noch so exzellenter Programme und brennender Aktualität nicht zu wundern." - Mit diesen Worten kommentierte ein Wiener Besucher sarkastisch die ausgebliebene Berichterstattung der österreichischen Printmedien und das Desinteresse politischer Würdenträger am XVIII. Else Lasker-Schüler-Forum, das vom 10. bis 15. April diesmal in Wien stattfand.

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Diskussion auf hohem Niveau über Illusionen der Vergangenheitsbewältigung oder: "Verordnete Gedenkkultur versus Betroffenheits-Kitsch". Von links: Michael Verhoeven, Alfred Grossser, Hazel Rosenstrauch, Moderator Peter Huemer, Eva Menasse und Christian Schneider.

Foto: Günther Sauer

Lediglich Bundespräsident Fischer hatte sich zu einem Grußwort herabgelassen – in Schriftform. Dabei ging es immerhin um die erste Präsentation einer deutschen Literaturgesellschaft in Österreich. Mit vielfältigen Bezügen zur Donaurepublik. Veranstalter war zudem nicht irgendeine x-beliebige Literaturvereinigung, sondern die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft, und die arbeitet „politisch": Seit den von ihr organisierten Dichterlesungen mit Herta Müller, Günter Grass, Reiner Kunze, Sarah Kirsch u.v.a. Autoren in jenen Asylbewerberheimen, die 1992 von Neonazis in Rostock, Cottbus oder Schwerin angegriffen worden waren.

Der ELS-Gesellschaft „geht es darum, für heutige und kommende Generationen eine zeitgemäße Erinnerungskultur und -pädagogik zu schaffen, weg von Zwangs- und Betroffenheitsritualen, Pflichtbesuchen verstaubter Museen und eherner Denkmäler", so Hajo Jahn, Organisator des Forums und Vorsitzender der in Wuppertal ansässigen Gesellschaft, die weltweit etwa 1.400 Mitglieder zählt.

Der Wiener Karl Kraus, Herausgeber der Zeitschrift „Die Fackel", war einst der bedeutendste deutsch-sprachige Satiriker. Sein Kampf um die Rettung der deutschen Sprache war radikal, provokant und ist aktuell bis heute. Ihm galt die zeichnende Dichterin Else Lasker-Schüler als „die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschland." Am 20. April 1912 fragte die Avantgardistin des Expressionismus in einem Brief an den >verährten Dalai Lama< ironisch: „Was tun Sie da in Wien?". Dieses Zitat gab nun, 100 Jahre später, dem XVIII. ELS-Forum in der Hauptstadt der Donaurepublik den Titel.

Damit stellte sich die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft programmatisch in Österreich vor. Sechs Tage lang, vom 10. bis 15. April, ging es auch - aber nicht nur - um die gemeinsame NS-Vergangenheit, um politische und pädagogische Erinnerungskultur der beiden Bruder-/Schwesterländer und ihre unheilvolle Geschichtsverbundenheit. Hochkarätig besetzt mit Intellektuellen beider Länder, darunter die in Berlin lebende Wiener Autorin Eva Menasse oder die heutigen Pariser Bürger Alfred Grosser, geboren 1925 in Frankfurt/M., und Georg Stefan Troller, der 1938 aus seiner Heimatstadt Wien flüchten musste. Als Zeitzeugen besuchten sie Wiener Schulen, Troller jenes Gymnasium, das ihn 1938 rausgeworfen hatte, weil er Jude ist. Greta Klingsberg, die in Jerusalem lebt, Arabisch spricht – auch weil sie sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt - wurde in ihrer Geburtsstadt von „Wiener Sängerknaben" gefragt, ob sie Hitler getroffen habe. Die Zeitzeugin war in Theresienstadt und hatte Auschwitz überlebt. In Theresienstadt hat sie mehr als 50mal die „Anninka" in der Kinderoper „Brundibar" gespielt, die auch zum Repertoire der „Wiener Sängerknaben" gehört. Diese hatten die Mädchen- in eine Jungenrolle umgeschrieben und viele Fragen an ihre Besucherin aus Israel.

 

Das Positive bei Günter Grass

Israels Reaktion auf das agitatorische „Gedicht" von Günter Grass, die Einreiseverweigerung, nannte Hajo Jahn in seiner Eröffnungsrede – just auf dem Höhepunkt der Diskussion um den Nobelpreisträger – „wenig souverän". Grass sei kein Antisemit, auch wenn sein „Pamphlet" Ursachen und Wirkung verwechsle. Positiv sei jedoch festzustellen, „dass es sie noch gibt, die Macht des Wortes – und das sogar mit Lyrik!"

Bruchteile dieser Aufmerksamkeit hätten sich die Veranstalter in den Medien gewünscht, hatten sie doch Themen wie „Verschwiegen und Verdrängt. - Die Rolle der Vermittler" oder die Uraufführung eines Theaterstücks über die ermordete russische Journalistin Anna Politkowskaja („Audienz im Kreml" von Gerold Theobalt, Wuppertal) im Programm.

Regisseur Michael Verhoeven schilderte die verblüffende Idee von einem jüdischen Restaurantchef, der Menschen fit für Einwanderländer machte, indem er sie ausbildete. Für Berichterstatter ebenso interessant hätte eigentlich auch die auf hohem Niveau geführte Podiumsdiskussion über „Illusionen der Vergangenheitsbewältigung oder: Verordnete Gedenkkultur versus >Betroffenheits-Kitsch<" sein müssen. Brennend aktuell angesichts der Flüchtlinge nach Europa der Vortrag von Dr. Hazel Rosenstrauch: „Ist Emigrans erblich?" - die Autorin stammt aus Wien, lebt in Berlin und hatte soeben den Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik erhalten. Selbst der 90-jährige Filmemacher Georg Stefan Troller spannte den Bogen in die Gegenwart, als er sein Buch vorstellte: „Wohin und Zurück". Nur der vier Jahre jüngere Publizist Alfred Grosser hatte zu provozierenden Fragen an die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft geführt, warum man ausgerechnet einen so schlimmen Israel-Kritiker einlade... Aber das waren Besucher, keine Journalisten.

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Georg Stefan Troller - besuchte jetzt als Zeitzeuge das Gymnasium, das ihn 1938 als Juden "ausgeschult" hatte.

Foto: Doris Rother

 

Der Weg ist das Ziel

Israels Botschafter in Wien, Aviv Shir-On, war Schirmherr des Forums und trotz Grosser und trotz Pessach-Fest zur Eröffnung gekommen. Mit Pessach feiern die Juden die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, was der belesene Günter Grass sehr wohl bedacht haben dürfte, als er mit „letzter Tinte" zur Feder griff. Im literarischen Programm-Magazin der Veranstalter konnte der Diplomat einen faksimilierten Brief lesen, in dem Grass seine Unterstützung für das „Zentrum der verfolgten Künste" zusagt, dem eigentlichen Grund für die Veranstaltung in Wien, eine Einrichtung, die von der deutschen Regierung bislang nicht unterstützt wird. Der Weg dorthin, so die Veranstalter aus Wuppertal, seien die Else Lasker-Schüler-Foren. Die nach der Künstlerin benannte Gesellschaft brachte dazu die Erstaufführung von mehr als 20 Lasker-Schüler-Gedichtvertonungen von Charles Kalman mit, dem in Wien geborenen Sohn des Operettenkomponisten Emerich Kálmán („Csardasfürstin") – sie waren 1938 über Frankreich in die USA geflohen.

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Prominente Besucher bei der Eröffnung des Forums in der Freien Bühne Wieden (von links): Prof. Sigrid Bauschinger, die Kulturexpertin Fallenstein, die Dichterin Friederike Mayröcker (Trägerin des Else Lasker-Schüler-Lyrikpreises von 1996), der Autor Matthias Buth und Sabine Grusa, Witwe von Jiri Grusa. Dem Ende 2011 gestorbenen Präsidenten des Internationalen PEN und Ex-Botschafters Tschechiens in Wien, war das Forum gewidmet. Er gehörte über viele Jahre dem Vorstand der ELS-Gesellschaft an und war Weggefährte von Vaclav Havel.

Foto: Günther Sauer

 

Doch bis auf eine Radiosendung des öffentlich-rechtlichen ORF und Dutzende von Internetplattformen schwiegen die (Print-)Medien das Ereignis tot. Kein Hinweis auf das sechstägige Symposium mit 23 Einzelveranstaltungen, vier österreichischen Bühnen-Erstaufführungen und einer Ausstellung von Bildern der „Poetin der Zeichenfeder", Else Lasker-Schüler, die 1937 als „entartet" aus der Berliner Nationalgalerie entfernt worden waren. Dass diese Bilder ins 21. Jahrhundert passen, zeigte 2011 die erste große Retrospektive ihrer Arbeiten im „Museum für Gegenwart" unter dem Dach der Deutschen Nationalgalerie in Berlin. Es kamen mehr als 50.000 Besucher. „Bild am Sonntag" brachte ebenso wie die FAZ jeweils eine Doppelseite über die „Doppelbegabung" Else Lasker-Schüler. Eine späte Wiedergutmachung, denn die Nazis hatten nicht nur ihr zeichnerisches Werk, sondern auch ihre Romane, Pamphlete und Schauspiele verboten, darunter das christlich-jüdische Versöhnungsstück „Arthur Aronymus und seine Väter". Ihr letztes und kühnstes Theaterstück, das deutsche Hoch- und deutsche Unkultur vereint, „Ichundich", hatte Heinrich Böll zur Freigabe aus Israel erkämpft. In diesem Werk treten Hitler und seine obersten Nazis gemeinsam mit Faust, Mephisto, Marthe Schwerdtlein und Else Lasker-Schüler auf. Die Autorin hatte sich zeitlebens für eine Versöhnung der Juden und Muslime eingesetzt.

Ausgelöst durch das zu diesem Zeitpunkt bereits in Planung befindliche Else Lasker-Schüler-Forum, hatte das Jüdische Theater „Hamakom" in Wien „IchundIch" ins Programm genommen und erstmals in Österreich am 24. Januar 2012 aufgeführt. Inszeniert von Michael Gruner, dem auch die Uraufführung am 10. November 1979 in Düsseldorf zu verdanken ist.

 

Analog ist von (vor-)gestern

Hajo Jahn hatte im „Hamakom" Else Lasker-Schüler porträtiert und beim Forum drei Monate später in seinem Vortrag „Exil ins Zentrum" darauf verwiesen, „dass wir zwar im Zeitalter von Facebook, Twitter, Google, Wikipedia, Wikileaks und Apps leben, doch unsere Erinnerungskultur und Erinnerungspädagogik noch immer altmodisch analog ist, weil sie aus dem 20. Jahrhundert stammt." Gleichzeitig lebten Österreicher wie Deutsche weiter im Schatten Hitlers. Nicht weil eine Wiederkehr des Nationalsozialismus drohe, sondern weil der Nationalsozialismus an Realität verloren habe. Es gäbe eine neue Leichtfertigkeit im Umgang mit dem Nationalsozialismus und seine Folgen. Nicht, weil der „Gegenstand" seine Schrecken verloren, sondern weil sich der Schrecken vom „Gegenstand" gelöst hat, heiße es bei Amoz Oz.

Andererseits, so Hajo Jahn weiter, scheine die Verfolgung kritischer Intellektueller eine Konstante der Geschichte zu sein, die zeitlich und geographisch weit über das Deutschland der NS-Zeit hinausreiche. Gerade heute werde der Umgang mit Fremden, Andersdenkenden und Kritikern zum Prüfstein demokratischer Gesellschaften. Deshalb setze sich die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft für ein „Zentrum der verfolgten Künste" ein, das in Ansätzen mit der Exilliteratur-„Sammlung Jürgen Serke" und der Sammlung verfemter Maler, mit Thomas Mann-Exilbriefen und den einst verbotenen Lasker-Schüler-Zeichnungen unter dem Dach des Kunstmuseums Solingen entstanden ist. Höchst ungewiss, ob es dort seinen Standort behält und ob es künftig institutionell gefördert wird wie das höchst umstrittene, revisionismusanfällige „Zentrum gegen Vertreibung", das jährlich 2 Millionen Euro Steuergeld erhält, während das Solinger Zentrum vom Staat negiert wird.

Die Else Lasker-Schüler-Foren hätten in Polen, Israel, Italien, Tschechien, der Schweiz und jetzt in Österreich gezeigt, dass es dabei um internationale Thematik geht. Und um Probleme der Zeit, so Jahn. Unter anderem deshalb auch hbe die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft zu einem ihrer Foren chinesische Dichterdissidenten eingeladen, zu einem anderen junge Palästinenser. Diese hätten wegen hoher bürokratischer Hürden seitens Israel nicht ausreisen können; die chinesischen Autoren im Exil hätten seit Jahren ihre Familien nicht mehr gesehen...

Als der „Exil-PEN" 1994 sein 60jähriges Bestehen feierte, richtete der österreichische Staat ein Symposium für die Organisation aus, auf die man in Wien und Berlin gleichermaßen stolz sein kann angesichts der unheilvollen Nazivergangenheit. Doch die Bundesrepublik zeigte sich abweisend. Die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft organisierte deshalb eine deutsche Jubiläumsveranstaltung in Wuppertal mit dem Forum „Exil ohne Ende".

Finanzmittel für das Forum in Wien kamen bescheiden von der Schweizer Kulturstiftung „pro helvetia", großzügiger vom deutschen Auswärtigen Amt, dem österreichischen Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus und dem österreichischen Zukunftsfonds. Dadurch wurden, wie Hajo Jahn dankend erwähnte, insgesamt mehr als 1000 Besuchern bei freiem Eintritt hochkarätige Veranstaltungen ermöglicht, konnten etwa 500 Schüler mit Zeitzeugen diskutieren, von denen es immer weniger gibt. Trotzdem waren nicht nur die Journalisten ausgeblieben, sondern auch der deutsche und der tschechische Botschafter, obwohl das Forum dem im Oktober verstorbenen Dichter und Diplomaten Jiři Gruša gewidmet war, Weggefährte Vaclav Havels und langjähriges Vorstandsmitglied der ELS-Gesellschaft. Durch Abwesenheit glänzte auch, wie oben erwähnt, das offizielle Österreich. Beschämt wurden sie alle vom einstigen Exilland Schweiz: Deren Kulturattaché Anna Ifkovits Horner war gekommen, um ein Grußwort zu sprechen. (PK)

 

Online-Flyer Nr. 351 vom 25.04.2012

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