Wer etwas will, muss mutig sein zu scheitern

Hajo Jahn – Rede anlässlich des Neujahrsempfangs der Bezirksvertretung Solingen-Gräfrath am 13. Januar 2013 zum „Zentrum der Verfolgten Künste“

Dieses Zentrum (unter dem Dach des Kunstmuseums Solingen)  ist Chance und Heraus-forderung. Es droht jedoch ein Dornröschenschlaf. Nicht wegen der Lage am Rande großer Städte wie Düsseldorf und Wuppertal. Sondern wenn es ein „normales“  Museum werden würde wie andere auch: „Dornröschenschloss oder Pionierprojekt“, wie die Neue Rheinische Zeitung  soeben richtig beschrieben hat. Ein echtes, ein aktives Zentrum muss mehr sein als ein Hort von Sammlungen, und seien sie noch so einzigartig in ihrer Kombination aus Malerei und Literatur.

Ein Zentrum der Verfolgten Künste, das seinen Namen  verdient, muss sich bislang vernachlässigter Themen annehmen – der Exil- und Widerstandskünstler, und damit zugleich der Modernisierung der Erinnerungskultur und Erinnerungspädagogik – Doch wer etwas will, muss mutig sein zu scheitern. - Das Zentrum für verfolgte Künste ist seit 1990 das zentrale Anliegen der ELSE Lasker-Schüler-Gesellschaft, unterstützt vom Exil-PEN, dem einst Thomas u. Heinrich Mann, Alfred Döblin oder Max Herrmann-Neisse angehört haben, viele bekannte und noch mehr vergessene Dichter.

Den Aufruf für ein Zentrum der verfolgten Dichter und Künstler unterzeichneten 1994 mehr als 50 Autoren, darunter Güter Grass, Herta Müller, Yehuda Amichai aus Israel, Vaclav Havel oder Salman Rushdie. Unterschrieben im Wissen, dass Kunst kein Spiegel der Wirklichkeit ist, sondern ein Hammer, mit dem man sie gestaltet. Oder um es mit Paul Klee zu sagen: „Kunst zeigt nicht das Sichtbare, sondern macht sichtbar“. Aus dem langen Kampf um das Zentrum möchte ich einige Beispiele aus der Palette der Möglichkeiten erwähnen: Bundespräsident Herzog empfing uns mit Schriftstellern und Liedermachern 1996 im Schloss Bellevue zur Übergabe einer Benefiz-CD für das Zentrum. Reinhard Mey, BAP, Klaus Hoffmann, Wolf Bierman und andere hatten Songs dafür gratis zur Verfügung gestellt. Weil es ihnen  um die verfolgten Musiker, Komponisten und Sänger ging und geht.

Niedecken

Wolfgang Niedecken

Foto: © Raimond Spekking / CC-BY-SA-3.0 (via Wikimedia Commons)

1999 saß ein Bilder-Sammler bei mir im WDR-Studio Wuppertal. Er hatte von unserem Buch „Gewissen gegen Gewalt“ gehört, in dem Pädagogen, Journalisten, Schriftsteller, Wissenschaftler und Museumsleute ihre Ideen beschrieben für ein Else Lasker-Schüler-Zentrum der verfolgten Künste. Dazu würde doch seine Sammlung verfemter Bilder gut passen. Meinte mein Besucher. Sein Name: Dr. Gerhard Schneider. - Im Namen von Else Lasker-Schüler und diesem Zentrum hatten wir 1997 chinesische Dichter-Dissidenten in Wuppertal zusammen mit Juden, die im einzigen Ghetto Chinas aufgewachsen sind. Ein Beispiel für die heutige Brisanz und Aktualität ist Ai Weiwei. In Peking habe ich 2008 einen Workshop über Else Lasker-Schüler und die verbrannten Dichter bei Germanistik-Studenten gehalten. 75 Jahre nach den Bücherverbrennungen in Deutschland. Aber auch der Kaiser, der die Mauer bauen ließ, hat die Bücher seiner Vorgänger verbrennen lassen. Die Lehre daraus: Die Aufgaben des Zentrums dürfen sich nicht auf die Vergangenheit beschränken.

Der Brunnen von Gegenwart und Zukunft wird gespeist aus der Quelle der Vergangenheit: Am 14. April 1920 fand der Erste Dichterabend im Bauhaus zu Weimar statt. Eingeladen war die erste Dichterin der Moderne. Else Lasker-Schüler. Die Avantgardisten der Architektur hatten die Avantgardistin der expressionistischen Literatur zu Gast – diese Pioniere der modernen Kunstszene mussten ab 1933 ins Exil flüchten. In der gesetzlich geregelten Gedenkkultur sind sie bis heute nicht berücksichtigt. - Paul Hinde-mith war der erste prominente  von etwa 280 Komponisten, die Gedichte von Else Lasker-Schüler vertont haben. Hindemith flüchtete über die Türkei in die USA. In der Türkei hat Ernst Reuter mit Hunderten von deutschen Geistes- und Naturwissenschaftlern Asyl bekommen. Ernst Reuter wurde später Regierender Bürgermeister von Berlin, sein Nachfolger wurde Willy Brandt, der in Norwegen im Exil war. Dafür wurde Brandt im Wahlkampf als „Vaterlands-verräter“ angegriffen. Wer etwas will, muß mutig sein zu scheitern!

Im „Zentrum“ werden mit Bildern aus der „Sammlung Gerhard Schneider“ verfemte und dadurch weitgehend unbekannte Maler vor dem Vergessen bewahrt. Mit der bildenden Künstlerin Else Lasker-Schüler gelang das 2011: 50.000 Menschen besuchten die Aus-stellung ihrer Bilder unter dem Dach der Deutschen Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, dem Museum für Gegenwart: Museum für Gegenwart – da war die Künstlerin bereits 66 Jahre tot. Und immer noch modern.

Die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft überlässt dem Zentrum für Verfolgte Künste 23 Originale der malenden Dichterin Else Lasker-Schüler als Dauerleihgabe. 23 von 104 Zeichnungen, die 1937 als „entartet“ aus der Berliner Nationalgalerie entfernt worden waren. Welch ein Triumph sechs Jahrzehnte später. Keiner ist im „Zentrum für Verfolgte Künste“ geeigneter als symbolische Brücke wie die aus einem assimilierten jüdischen Elternhaus in Wuppertal-Elberfeld stammende Else Lasker-Schüler. Sie wurde im Berlin des beginnenden 20. Jahrhunderts die ungekrönte Königin der Boheme, vernetzt mit den berühmtesten Künstlern ihrer Zeit. Ihre Bücher wurden verboten und verbrannt, ihre Schauspiele abgesetzt, im Exil hatte sie Schreibverbot, in Palästina die Sprache dieses Landes nie erlernt. Kurt Tucholsky oder Stefan Zweig begingen in dieser Situation aus Verzweiflung Selbstmord.  

Die sogenannte Doppelbegabung Else Lasker-Schüler steht für verfolgte Literatur und Malerei. Sie hatte bis zu ihrer Flucht 1933 Ausstellungen ihrer Zeichnungen in London, München, Berlin und Hagen. In Hagen hatte der mit ihr befreundete Karl Ernst Osthaus das Folkwangmuseum gegründet. Alle modernen Künste unter einem Dach.

Nur wer etwas will, muss mutig sein zu scheitern. Die Stadtväter von Hagen haben das Folkwangmuseum nach Essen verkauft. Die Idee von Osthaus lebt dort fort. Auch in der Vision der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft – alle verfolgten Künstler sollen ein Haus bekommen im Zentrum der verfolgten Künste. Hier auch könnte der zentrale Ausstellungs-ort für Georg Meistermann entstehen. Der gebürtige Solinger steht für Berufsverbot und innere Emigration! Selbst Sportler sollten einen Platz im Zentrum und seine Aktivitäten  bekommen. Wie jener jüdische Fußballtrainer Richard Dombi, der 1932 erstmals Bayern München zur deutschen Meisterschaft führte. Oder  Johann Wilhelm Trollmann. 1933 hat er sich im Halbschwergewicht den Meistergürtel geholt, verweigert von den Nazis: Ein „Zigeuner“ durfte nicht deutscher Meister sein. Nachzulesen im virtuellen Zentrum www.exil-archiv.de.

Innenansicht_Museum_Folkwang

Folkwangmuseum

Dort gibt es bereits 1.600 Biografien einst und aktuell verfolgter interessanter, vorbildhafter Menschen aus dem In- und Ausland. Die Website exil-archiv.de ist ein Teil  der Mitgift der ELS-Gesellschaft und ihrer Stiftung „Verbrannte und verbannte Dichter/Künstler – für ein Zentrum der verfolgen Künste“ für das reale Zentrum in Solingen. Dazu gehört zudem die pädagogische Internetplattform www.exil-club.de. Denn mit spannenden Geschichten und neuen Medien lassen sich Jugendliche und jung gebliebene Zeitgenossen ganz anders ansprechen als mit herkömmlichen Museen.

Ich könnte erzählen von der Romanautorin Else Lasker-Schüler. Sie hat mit „Mein Herz" den ersten autobiografischen Fortsetzungsroman in einer Zeitung veröffentlicht. Sie war die erste Theaterautorin, die Goethe, Faust und Mephisto mit Hitler und seine Vasallen, also deutsche Hochkultur und deutsche Barbarei, auf die Bühne gebracht hat mit ihrem Stück „Ichundich". Ich könnte über ihren mutigen Kampf gegen die Macht der Verleger sprechen, wie ihn ähnlich nur noch ihr Bewunderer Heinrich Böll mit „Der verlorenen Ehre der Katharina Blum" gegen einen mächtigen Boulevard-Zeitungsverlag geführt hat. Das imponiert auch jungen Menschen!

Weil es aktuell bleibt.

Möglich wäre hier und heute ein eigenes Referat über die verfolgen Filmemacher aus Deutschland und Österreich über die „Kinoniterin“ Else Lasker-Schüler, wie sie sich selbst genannt hat. Sie war nicht nur mit Einstein oder Tilla Durieux befreundet, sondern kannte auch den später nach Hollywood geflohenen Billy Wilder. Friedrich Hollaender, der die berühmten Marlene Dietrich-Schlager geschrieben hat, vertonte Lasker-Schüler . Er war wie Wilde und viele andere Exilanten in Hollywood. Die UFA wollte mit der Lasker-Schüler Filme machen. Sie hat das folgende witzige Gedicht geschrieben:

Komm mit mir in das Cinema,  / Dort findet man, was einmal war:

Die Liebe!  /  Liegt meine Hand in deiner Hand

Ganz übermannt im Dunkel, / Trompetet wo ein Elefant

Urplötzlich aus dem Dschungel – / Und schnappt nach uns aus heißem Sand

Auf seiner Filmenseide /  Ein Krokodilweib, hirnverbrannt,

Dann – küssen wir uns beide.

Tilla_Durieux

Tilla Duireux

Die Themen des Zentrums können also auch unterhaltsam und heiter sein!

Wie sagte doch Bundespräsident Weizsäcker in seiner berühmten Rede 40 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur vor dem Bundestag?: „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung."

Weizsäckers Rede liegt schon lange zurück, gehalten am 8. Mai 1985. Fünf Jahre später wurde die Lasker-Schüler-Gesellschaft gegründet mit dem Hauptzweck eines Zentrums der verfolgten Künste, weil der Lebensweg der Künstlerin dafür exemplarisch ist.

Wer etwas will, muss mutig sein zu scheitern. Bei diesem Satz denke ich an Konrad Merz und Peter Fürst. Konrad Merz überlebte versteckt in Holland in einem Kleiderschrank. Arzt konnte er danach nicht mehr werden. So wurde er Masseur. Seine Bücher wie „Ein Mensch fiel aus Deutschland“ sind fast vergessen.  Seine Manuskripte hat er der deutschen Nationalbibliothek vermacht. Aber er wollte, dass seine Bücher öffentlich zugänglich ausliegen sollten in einem kommenden Zentrum für verfolgte Künste.

Dafür hat er – weinend in meiner Wohnung -  sein Honorar beim Else Lasker-Schüler-Forum 1994 gespendet mit der Bitte, dass sein Name auf einer Tafel im Eingangsbereich eines solchen Zentrums zusammen mit anderen Exilanten genannt werde. Das Zentrum  solle so lebendig arbeiten wie dieses Forum. Konrad Merz  wollte  nicht in Archiven verstauben und vergessen werden.

Ähnlich äußerte  sich auch Peter Fürst. Ein zierlicher jüdischer Journalist aus Berlin, inzwischen Radioreporter in New York. In seinem letzten Buch berichtet der Mann mit der Napoleonfigur,  wie er in Berlin Max Schmeling zum Schwitzen gebracht, von einer Ecke in die andere gejagt und  am Ende besiegt hat – im Tischtennis.

Max_Schmeling

Max Schmeling

Bundesarchiv, Bild 102-09348

Oder wie er mit seiner Tanzpartnerin vor SA-Schlägern aus einem Lokal flüchtete. Weiter über Monaco, die Dominikanische Republik bis nach Amerika . Die Tänzerin hat er später in großer Not  in New York anpumpen müssen: Lilly Palmer – eine Exilantin, die zum Weltstar geworden war. - Stars, die vergessen, die  zum Niemand wurden, gab es mehr. Etwa  Elisabeth Bergmann, Komponist Paul Abraham oder einige Comedian Harmonists.

Ich hatte für heute einen eigenen Text nur über Georg P. Salzmann zu schreiben begonnen und dann verworfen. Er hat seinen Töchtern die Jugend gestohlen, weil er all seine freie Zeit dazu verwendete, Bücher in Antiquariaten und auf Flohmärkten zu sammeln, und zwar Titel, die 1933 verbrannt worden waren. Grund für die Sammelwut: Sein Vater beging 1945 Selbstmord, weil er die Nazis unterstützt hatte. Derr Sohn wollte das mit den verbrannten Büchern „wiedergutmachen“. Er wollte auch seine großartige Sammlung dem Zentrum für Verfolgte Künste in Solingen veräußern – aber wir hatten bereits unser Stiftungsvermögen für den Erwerb der noch wichtigeren „Sammlung Serke“ ausgegeben: 300.000,-Euro. Denn Vater Staat hatte nichts gegeben. Er ist gegenüber den verfolgten Künstlern und Intellek-tuellen noch immer ein Stiefvater.

Nachdem wir mit dem Ankauf der Serke-Sammlung beispielhaft vorangegangen waren, finanzierte der Bayerische Staat den Ankauf der Sammlung Salzmann, so dass die Töchter ein Erbe bekamen. Salzmanns  Traum, seine Sammlung als Handbibliothek öffentlich einem großen Publikum zugänglich zu machen, wurde allerdings  nicht verwirklicht. Die Sammlung setzt jetzt Staub an in der Universität von Augsburg, dem Geburtsort des Exilanten Bertolt Brecht.

Auch für Georg P. Salzmann gilt: Wer etwas will, muss mutig sein zu scheitern.

Cornelia Froboess hat im Solinger Zentrum aus dem Konrad Merz-Buch „Ein Mensch fiel aus Deutschland“ gelesen –Texte verbrannter Dichter lasen hier Iris Berben, Hannelore und Nina Hoger,  Hanna Schygulla oder Günter Lamprecht. Mit  Mario Adorf waren wir in Polen, mit anderen in Israel, Italien, der Schweiz und Österreich. In Schulen mit Zeitzeugen wie Pavel Kohout oder  Coco Schumann, dem Jazzmusiker von Auschwitz.  Mit  Slam-Poeten als „Elses Enkel“ gab es moderne Lyrik-Workshops mit Schülern. Oder  ein Oratorium zum 20jährigen Fall der Mauer, zum Reichstagsbrand oder ein Schauspiel über die ermordete Journalistin Anna Politkowskaja. Uraufgeführt hier in Gräfrath. Zwar nur als Lesung, weil wir mehr nicht finanziert bekommen haben. Aber es zeigt die Palette der Möglichkeiten für ein Zentrum, das seinen Namen verdient. Schirmherren der Else-Foren waren u.a. die UNESCO-Hochkommissarin Mary Robinson, Israels Präsidenten Ezar Weizman und Shimon Peres, Johannes Rau, Vaclav Havel und Ignatz Bubis, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland,  oder Österreichs Bundespräsident Fischer . Generalsekretär Kofi Annan schrieb, die ELS-Gesellschaft sollte mit diesen Aktionen weitermachen. Teilnehmer der Foren waren u.a. Wladyslaw Bartoszewski und Lech Walesa aus Polen, aus Tschechien Vaclav Havel, aus Estland Präsident Lennart Meri. Und Hans Dietrich Genscher.

Johannes_Rau

Johannes Rau

Bundesarchiv, B 145 Bild-F073494-0025 © Wienke, Ulrich

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Vaclav Havel

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Kofi Annan

Die ausländischen Politiker waren und sind Kritiker des  „Zentrums gegen Vertreibung“.

Sie unterstützen die Idee eines nach ihrer Meinung politisch korrekten „Zentrums der Verfolgten Künste“, das in Solingen etwas in der Welt Einzigartiges werden kann. Das hat viel mit den von Deutschland  überfallenen Ländern, andererseits ebenso viel mit den Exilstaaten der verfolgten deutschen Künstler zu tun, die dort „Asylanten“ warten. Das Thema verbindet Europa – und hier liegt eine der Möglichkeiten des Solinger Zentrums.

Die Zentrums-Vision ist ein Traum wie von Martin Luther King. Es geht darum, die Verfolg-ten aus dem Ghetto des Vergessens zu holen unter Einbeziehung heutiger Verfolgter. Es geht um eine zeitgemäße Erinnerungskultur. Mit der Dämonisierung des Bösen, mit ab-strakten Opferzahlen und erhobenen  Zeigefinger Nie wieder Holocaust ist kein Erfolg beschieden im Kampf gegen Rassismus oder Neonazis bei heutigern Jugendlichen. Die haben mit den Verbrechen der Nazis nichts zu tun. Sie wissen kaum etwas über den Unrechtsstaat DDR.

Das Zentrum für Verfolgte Künste hat innerhalb einer relativ gleich- förmigen Museumsland-schaft moderner Kunst ein Alleinstellungsmerkmal mit der Literatur- und Bildersammlung, mit Original(exil)briefen von Thomas Mann und der größten deutschen Sammlung einst beschlagnahmter Bilder von Else Lasker-Schüler und mit Georg Meistermann. Und mit den Internet-Portalen www.exil-zentrum.de, www.exil-archiv.de und www.exil-club.de

Dennoch: Dieses wäre „nur“ ein Museum, wenn auch mit ungewöhnlichen Sammlungen. Gelegen in einem idyllischen Ortsteil von Solingen –  Solingen,  wo vor 20 Jahren fünf türkische Menschen bei einem Brandanschlag umgekommen sind. Einer Stadt, aus der Adolf Eichmann stammt.

Aber die Menschen im Bergischen Land haben einst Pioniergeist gezeigt. Hier entstand ein frühes Sozialsystem. Hier wurden die Müngstener Brücke und die Schwebebahn gebaut.

Und jetzt das „Zentrum für Verfolgte Künste“. Dass es so weit gekommen ist, ist u.a. zu verdanken den Landtagsabgeordneten Iris Preus-Buchholz, Josef Neumann und Anedreaqs Bialas, vor allem aber auch Bernd Passmann vom Landschaftsverband Rheinland. Rainer Villwock und Sylvia Löhrmann wären ebenfalls dankbar zu nennen, auch die Parteien im Solinger Rat oder Alt-Oberbürgermeister Hauck. Dass sich sein Nachfolger Norbert Feith das Projekt ebenfalls zu Eigen macht, dient der Sache.

Als Erster unter Gleichen müssen wir  ihn und Sie alle, meine Damen und Herren, und möglichst viele Bürger der Klingenstadt jetzt mitnehmen, um das Zentrum für Verfolgte Künste erfolgreich zu machen.

Denn ohne Moos nichts los. Ministerpräsident  Johannes Rau wollte als Mitglied der Else-Gesellschaft das Zentrum mit einer Anschubfinanzierung unterstützen. Doch wir kamen leider nicht voran. Zu viele Hindernisse, zu viele Bedenkenträger standen im Weg. Denn die meisten Exilanten waren Juden – auch wenn das niemand öffentlich als Argument gegen das Zentrum  auszusprechen wagte – und sie waren widerständig, waren Unruhestifter. Dann hat das in Deutschland lebende russisch-jüdische Sammler-Ehepaar Bar Gera seine Sammlung russischer Nonkonformisten – die unter Stalin verpönt waren, gelinde gesagt - dem Staat Israel vermacht, nicht dem „Zentrum für Verfolgte Künste“, weil es das noch nicht gab. So eröffnete Johannes Rau 2003 als Bundespräsident mit Israels Präsident Katzav in Raanana das „Internationale Museum für verfolgte Kunst und Künstler“. Was hört man davon? Nichts. Eine Sammlung macht  eben noch kein Internationales Museum. Unabhängig davon, dass auch Geld fehlt.

Ich bin mir sicher, dass das Zentrum der verfolgten Künste weitere interessante Sammlungen erhalten wird, wenn es denn einmal ans „Laufen“ gekommen ist

Damit jedoch Solingen nicht zum deutschen Raanana wird, bedarf es einer institutionellen Förderung durch den Bund. Wie beim „Zentrum gegen Vertreibungen“. Diese umstrittene Einrichtung bezahlen wir alle mit jährlich 2 Millionen Steuergeldern. Natürlich  war es Unrecht, was den Vertriebenen geschehen ist – wahr ist aber auch, dass die meisten stillgehalten oder Heil Hitler gerufen haben, so lange gesiegt wurde. Die wahre Vertreibung hat 1933 begonnen, 1945 war die Folge!

„Auf nach Solingen. Warum haben nicht Berlin, München oder Frankfurt ein solches „Museum Serke“?  - haben deutsche Medien 2008 groß berichtet, als wir die Literatur-Sammlung als Dauerleihgabe vorstellten. Wer die Sammlung bezahlt hat, dass eine Stiftung erstmals in Deutschland ihr Vermögen für eine nationale Sammlung „geplündert“ hat, um die wertvollen Erst- und Widmungsexemplare für die Allgemeinheit zu retten und sogar die Ausstellungsarchitektur bezahlen musste – das war die eigentliche Story, die nicht berichtet wurde! Anders als in den Lokalzeitungen wurde in der überregionalen FAZ, FR, in der „Zeit“ oder der Süddeutschen und der „Welt“ nicht gefragt, woher das Geld kam und wie es ohne Geld weitergehen solle.

Es gibt weder ein „Museum Serke“ noch ein „Museum Schneider“. Beide Sammler haben Hervorragendes geleistet. Noch mehr geleistet haben jedoch die Künstler, über die sich die Sammler artikulieren. Die Künstler haben in ihren Werken hinterlassen, was geschah, wie es zur Diktatur kam und was die Folgen waren. Ihre Lebensgeschichten sind spannend. Die Biografien, der Mut solcher Menschen, die oft in Ländern Asyl fanden, aus denen Jugend-liche kommen, die heute bei uns leben – all das ist faszinierend, muss in eine bislang uner-ledigte Erinnerungskultur eingebettet werden.  Jenseits von Ritualen und toten Denkmälern.

Ein Zentrum für verfolgte Künste muss mehr sein als die Summe von  Sammlungen. Sonst ist es nur ein Museum mit Alleinstellungsmerkmal in der Provinz.

Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Asylanten und Exilanten. Dabei  fliehen zuerst immer die Künstler, Journalisten, und anderen Intellektuellen. In Deutschland haben sie eine große Lücke hinterlassen. Die Vertreibung von Persönlichkeiten wie Albert Einstein und Thomas Mann - um die prominentesten Namen zu nennen -  erst recht die Vertreibung von Tausenden mehr oder weniger namenlosen Exilanten ist bislang im einschlägigen Gedenkstätten-Gesetz  der Bundesrepublik nicht vermerkt als eigene Opfergruppe (wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags 2011 festgestellt hat).

In ihrem Namen könnte es hier in Gräfrath ein aktives, attraktives Zentrum für Verfolgte Künste werden, dass Solingen, Nordrhein-Westfalen und damit der demokratischen Bundesrepublik Reputation einbringen wird. Dabei können Sie alle mithelfen, meine Damen und Herren, so, wie es die Solinger Bürger Thomas Busch und Dieter Fervers vorgemacht haben, die Geld zum Ankauf der Bilder-„Sammlung Schneider“ gestiftet haben.

Wenn Deutschland eine Kulturnation ist, dann muss sie die verfolgte Kunst und diese Künstler – Dichter und Journalisten, Schauspieler und Sänger, Architekten und Maler, Bildhauer, Filmemacher und Tänzer, Geisteswissenschaftler wie etwa Lise Meitner  oder Sportler wie die Hochspringerin Gretel Bergmann -  dauerhaft  ins Bewusstsein heutiger und kommender Generationen zurückholen. Welche Möglichkeiten für ein lebendiges Zentrum der Verfolgten Künste, frei nach dem surrealistischen Zitat: Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft.

Doch das Zentrum, das die Vergangenheit in die Gegenwart holt, wird ohne Förderung vom Bund keine Zukunft haben – bei aller Dankbarkeit gegenüber dem Landschaftsverband Rheinland, der jährlich 300.000 € zugesagt und zwei Millionen Euro in die Stiftung gegeben hat, der sich die Else Lasker-Schüler-Stiftung anschließen wird, sobald alle verwaltungs-technischen Hürden genommen sind. Dem LVR gebührt ein Kompliment, weil man dort erkannt hat, welches Potential das Thema hat und wie wichtig ein solches Zentrum ist.

Aus Griechenland, der Wiege des Abendlandes, kommen die Worte Museion und Kentron. Im ehemaligen Rathaus von Gräfrath können das jetzige Museum und das Zentrum sich ergänzen und die Besucher gegenseitig interessieren.

Doch das Zentrum braucht mehr Platz, braucht einen Anbau, benötigt wissenschaftliche und pädagogische Mitarbeiter, will es Deutschlandweit und international wirken. Bislang aber gibt es noch nicht einmal einen angestellten Hausmeister.

Und so gilt: No money, no honey. Oder: Wer etwas will, muss mutig sein zu scheitern.

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