Friedrich Engels in China verhaftet

"Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Denkmäler."

(aktualisiertes chinesisches Sprichwort)

Der aus Wuppertal stammende Mitverfasser des Kommunistischen Manifests, Friedrich Engels, wurde auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking verhaftet. Er hatte gegen das Wegsperren der Künstler und Journalisten protestieren wollen, die an den Studentenaufstand vor 25 Jahren erinnern wollten.

Diese - fiktive - Meldung wäre nach Ansicht von Hajo Jahn, dem Vorsitzenden der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft, Realität, wenn der Revolutionär Engels gegenwärtig leben würde. Seiner Meinung nach würde Friedrich Engels zur Niederwerfung des Studentenaufstands nicht geschwiegen haben  und deshalb sehr wahrscheinlich in China weggesperrt werden. Tatsächlich aber übergibt der Botschafter Chinas, Shi Mingde, am Vormittag des 11. Juni als Geschenk der Volksrepublik an die Stadt Wuppertal eine Bronzefigur. Sie wurde von dem im Reich der Mitte renommierten chinesischen Künstler Zeng Chenggang entworfen. Die 3,80 m hohe monströse Figur zeigt den Wegbegleiter von Karl Marx im Stil des sozialistischen Realismus. Dabei dürfte das blutige Massaker auf dem Tiananmen-Platz nicht erwähnt werden. Unerwähnt dürfte aber ebenfalls bleiben, dass auch der in China hochverehrte Friedrich Engels seinerzeit einen verbotenen Autor unterstützt hat - Karl Marx im Exil. Beide haben die Pressezensur des preußischen Regimes scharf kritisiert. Eine "Ehrung" Engels vom Vertreter einer Diktatur, die mit allen Mitteln freie Meinungen unterdrückt, ist nicht nur eine allgemeine Verhöhnung der wichtigsten Werte, die für alle Menschen gleichermaßen gelten, sondern auch eine Verhöhnung eines Mannes, den man zu ehren vorgibt, der aber selbst erst durch  die Möglichkeit und Nutzung der freien Meinungsäußerung zu dem werden konnte, was er später war. Dafür würde er heute in China inhaftiert - so der Vorsitzende der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft.

Ab dem 11. Juni gibt es gleich zwei Engels-Denkmäler in Wuppertal.  Das neue, das realistische Denkmal wird in unmittelbarer Nachbarschaft zum großartigen Werk des bedeutenden österreichischen Bildhauers Alfred Hridlicka ungefähr dort aufgestellt, wo Friedrich Engels am 28. November 1820  geboren wurde. Dieses Kunstwerk aus Carrara-Marmor war nach kontroversen Debatten im Wuppertaler Rat am 2. Juni 1981 im Beisein von Ministerpräsident Johannes Rau der Öffentlichkeit übergeben worden. Beide Denkmäler verkörpern in ihrer jeweils eigenen künstlerischen Ausdrucksweise völlig andere Denkwelten. Wer weiß, welche der beiden Arbeiten dem in China hochverehrten Friedrich Engels besser gefallen hätte?  Von dem auch künstlerisch sensiblen Denker stammt, was wenig bekannt ist, die Vorlage zum Libretto von Richard Wagners Oper "Rienzi".

Die Wuppertaler Else Lasker-Schüler-Gesellschaft hatte 1997 zu ihrem V. Else Lasker-Schüler-Forum chinesische Dichter-Dissidenten und Juden, die in Shanghai während des Zweiten Weltkriegs Zuflucht vor den Nazis gefunden hatten, in die Geburtsstadt von Friedrich Engels eingeladen. Die damaligen Teilnehmer, die Journalisten Shi Ming und Peter Finkelgruen, befürworten diesen Kommentar. Zum Vorstand der internationalen Literaturvereinigung gehörte seinerzeit Herta Müller. Die spätere Literaturnobelpreisträgerin hat sich stets für die Freiheit ihrer verfolgten Schriftstellerkollegen in China eingesetzt.

Das einstige jüdische Ghetto in Shanghai wird in der chinesischen Erinnerungskultur bewahrt. Auch das gehört zur historischen Wahrheit. Was aber hätte Engels, der auch Historiker war, zum Verschweigen des blutigen Studentenaufstands auf dem Tiananmen-Platz vor 25 Jahren gesagt? Nach Wuppertal pilgern die Anhänger Engels ähnlich wie zum Karl Marx-Haus in Trier. Die Stadt Wuppertal, die die Übergabe der in hiesigen Künstlerkreisen umstrittenen Bronzeplastik mit einem Deutsch-Chinesischen Kulturfest feiert, erhofft sich die Ansiedlung von Firmen aus der "Volksrepublik".

 

PS: Geschenke müssen angenommen werden. Ob sie einem gefallen oder nicht. Vermutlich wird die Bronzeskulptur vielen Wuppertaler Bürgern  besser gefallen als das Hridlicka-Werk mit seinen gefesselten Armen und den Phalli. Die obenstehende Meldung versteht die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft als Kommentar zur verordneten Grabesruhe in China, wo kritische Geister weggesperrt werden und nichts an den Studentenaufstand erinnern soll. Dies sollte bei der Übergabe der neuen Skulptur nicht unerwähnt bleiben.

PPS: Auch auf der chinesischen Skulptur wird es ein Engels-Zitat geben. Es lautet:

"Die Arbeit ist die Quelle alles Reichthums, sagen die politischen Oekonomen. Sie ist dies - neben der Natur, die ihr den Stoff liefert, den sie in Reichthum verwandelt. Aber sie ist noch unendlich mehr als dies. Sie ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, dass wir in gewissem Sinn sagen müssen: sie hat den Menschen selbst geschaffen."

(Friedrich Engels "Dialektik der Natur", 1876)